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Bertold Seliger – Das Geschäft mit der Musik

Berthold Seliger gibt den Stachel im Fleisch der seit Jahren im Umbruch befindlichen Musikbranche, er kritisiert, eckt an, hat recht, schießt übers Ziel hinaus und dann wieder von vorne (Eine Rezension von Günther Wildner)

so gewohnt aus seinem Konzertagentur-Newsletter und jetzt auch aus seiner aktuellen Publikation: “Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht” heißt das 350 Seiten umfassende Taschenbuch-Werk im Tiamat Verlag. Neben ambitionierter Streitschrift ist es noch Musikbusinessunterrichtsmaterial und ein leidenschaftliches Plädoyer für Kulturelle Vielfalt – aber der Reihe nach:
Dass ein Auskenner der Branche der Kollegenschaft von Recorded Music bis Veranstaltungswirtschaft, von GEMA bis Medien den subjektiven Spiegel vorhält, ist gut und richtig, und kann nur funktionieren, wenn der Auskenner unabhängig ist von den kritisierten Unternehmen, Personen und Vorgängen – bei Berthold Seliger ist das der Fall.

Live-Industrie
Gestützt auf Dean Budnicks und Josh Barons Standardwerk “Ticket Masters” veranschaulicht Seliger den weltweiten Konzentrationsprozess in der Veranstaltungswirtschaft von einer kleinteiligen, vielfältigen zu einer immer mehr monokulturellen Branche, siehe marktbeherrschende Unternehmen wie Live Nation/Ticketmaster und Anschutz Entertainment Group (AEG). Es leuchtet ein, dass diese Entwicklung für Künstler und die Musikszene insgesamt als äußerst problematisch einzustufen ist, denn wer alle Verwertungsstränge (Recorded Music Rights, Agentur, Tourneeausrichtung, Locations plus Gastronomie, Sponsorenkooperationen etc.) und das große Geld hält, der schafft an – zu seinen Konditionen. Viele kleinere Unternehmen mussten dem Druck bereits weichen bzw. sich größeren Einheiten anschließen – gleichzeitig weist z.B. Live Nation in den letzten Jahren regelmäßig Netto-Verluste aus, die teilweise die 200 Mio. Dollar Marke pro Jahr übersteigen. Man muss kein Wirtschaftsexperte sein, um festzustellen, dass hier etwas schief läuft, ein offensichtlich krankes System am Werk ist. Die dabei ausgezahlten Millionengagen und -sonderzahlungen für die Manager lassen den aufmerksamen Beobachter sprachlos zurück.
Seliger liefert dazu als Anschauungsmaterial eine Durchrechnung der Kosten/Gewinnaufteilung (Was bleibt dem Künstler?) anhand eines mittelgroßen Konzerts – man kann sich anhand dieser Aufschlüsselung ein eigenes Bild machen, wer bei Live-Aufführungen im Risko steht und wer nicht, und ob das eine faire Abmachung ist …

Tonträgerindustrie
Dass diese harsche Kritik von Seliger einstecken muss, war schon vor dem Lesen des Kapitels klar, auch dass er den ECHO nicht mag: “Auf der 20. Echo-Veranstaltung feierten alte bis mittelalte Funktionäre der Musikindustrie ihr ewig gestriges Geschäftsmodell mit Künstlern, die eher nicht im Mittelpunkt der kulturellen Diskussion stehen und wenig Neues bringen.” Stimmt so nicht, denn die Tonträgerindustrie hat mittlerweile digitale Musikangebote an den Start gebracht oder sich an ihnen beteiligt, die von Konsumenten nachgefragt werden, und wenn 70% der Käufer im deutschsprachigen Raum noch immer der CD den Vorzug geben, kann sie so alt und schlecht wohl nicht sein … Kunst und Künstler bleiben sowieso immer Geschmackssache – für manchen ist Helene Fischers neue Live-DVD der Gegenstand der kulturellen Auseinandersetzung, für andere Gregory Porter oder Khatia Buniatishvili.

Musikjournalismus
Seliger kritisiert zurecht den “embedded music journism” und veröffentlicht gleich konkrete “Kooperationsangebote” – hier redaktionelle Berichterstattung, dafür wird Summe X bezahlt.
Gottseidank gibt es auch noch Musikjournalismus, der nicht die Hand aufhält. Die Krise der Medien schlägt voll auf die Kulturberichterstattung durch.

Insgesamt begibt sich Seliger bei vielen geschmäcklerisch-subjektiven Einschätzungen auf zu dünnes Eis:
+ So unterstellt er der Initiative Musik, dass sie bevorzugt Mittelmaß fördert. Kann man natürlich so behaupten, ist aber wohl nicht zu halten – ich rate zu einer Diskussion mit den geförderten Künstlern.
+ Weiters wettert Seliger undifferenziert gegen Ausbildungseinrichtigen wie “Pop-Akademien”, “Unis” und Kulturmanagementausbildungen, die praxisfern seien. Solche Pauschalurteile sind natürlich immer falsch.
+ Seliger predigt Autarkie (was natürlich richtig ist) und damit gegen die Sponsorenfinanzierung. Das mag eine für ihn legitime und praktikable Einstellung sein, wenn er Künstler tourt, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation Sponsoren abblitzen lassen können. Für Newcomer, die chronisch unterfinanziert sind, bestehen schlicht keine Wahlmöglichkeiten. Großfestivals wiederum können ohne Sponsoren zusperren. Aber das wäre leicht zu lösen, wenn die Headliner-Acts von ihren Millionengagen heruntersteigen – Chefverhandler Seliger, bitte übernehmen!
+ Und die Künstler kriegen auch ihr Fett ab: “Musik in der Art der Bots ist ästhetisch so verabscheuungswürdig wie die von Pur.” Hmmmm – Hartmut Engler wird in diesem Leben wohl nicht mehr unter Seliger touren – das wäre auch theoretisch nicht möglich, weil die Konzertagentur Seliger mit Ende des Jahres 2013 ihre Pforten geschlossen hat. Dafür gibt es neu und aktuell Seligers “Büro für Musik, Texte und Strategien“.

Und in vielem sind wir absolut d’accord: gegen permanente Selbstausbeutung und künstlerisches Prekariat, für kulturelle Vielfalt und Teilhabe, für eine selbstbestimmte Kunst.

Berthold Seliger: Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht, Berlin: Edition Tiamat, 2013.
http://edition-tiamat.de
http://www.bseliger.de/

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