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Leipziger Buchmesse 2018: Dualität von Idee und Endsumme

Wer die Stufen zu den Messehallen in Leipzig hinaufstieg, konnte es step by step und weiß auf schwarz lesen: „Für das Wort und die Freiheit“, Hashtag darf nicht fehlen: #FreeTheWords
Und natürlich für Offenheit, Vielfalt und Austausch.

So ein Buchmessenmotto kann Kopfweh machen: erhebend, aufrüttelnd, diskursiv, richtungsweisend und einfach gescheit soll es sein! Die Leipziger Wahl war letztlich nicht allzu schwierig, weil aufgelegt. Wort und Freiheit haben Konjunktur, weisen multiple Bezüge auf und sind rutschfest eingepasst in die aktuelle gesellschaftliche und politische Gemengelage von Sorge, Streit, Deutungshoheitskampf und selbstverordneter Zuversicht – konkret dann vor Ort mit Vorträgen, Diskussionen, Pressekonferenzen, Streitgesprächen, Lesungen und und und.

Praktischen Nutzen muss eine Buchmesse natürlich auch aufweisen als Bedeutungsspender für Leser: Cutting-Edge-Intellektuelle, Comic-Schlinger, Spannungs-Junkies und Zweikäsehoch-Bilderbucheinspeichler vereint im bunten Treiben. Die Bedeutung muss dann auch noch auf die Messe selber abstrahlen, muss sie doch in den Folgejahren wieder wirtschaftlich gesund gestaged werden. Wort und Wert, Emotion und Geldbörserl, Überlebensmittel und Lebensunterhalt – die Dualität von Idee und Endsumme ist allgegenwärtig. Die Inszenierung behübscht das geschäftige Geschehen mit Geist, Toleranz und Giveaway-Gimmicks. Diskurs- und Marketingdurchlauferhitzer, eine Messe muss sich nicht jedes Jahr neu erfinden.

Dem Preis der Leipziger Buchmesse täte gerade das aber gut. Denn dieser wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen, unsexy, nicht eventig, nicht anti-eventig, bemüht, bildungsbürgerlich, bisschen lieblos, Dienst nach selbstgewählter Vorschrift – gäbe es nicht das eine oder andere Filmchen auf der Videowall, das hätte alles vor 40 Jahren genauso stattfinden können.

Da saß sie nun die Preisjury, vier Frauen und drei Männer, ein wenig wie am Pinguinfelsen, besser wie ein um zwei Substitute angereicherter Big Band-Saxophonsatz mit ihren Buchmesse-gebrandeten (Noten)Pulten. Die Juryvorsitzende exemplifizierte die Komplexität des Literaturbetriebs, einzelne Jurymitglieder lasen Buchbesprechungen vor. Das bei den Preisenthüllungen gerade noch ausreichend applaudierende Branchenpublikum schafft es, sich auf den Sesseln zu halten, hinter dem Absperrband dann das gemeine Volk – aber da stehen eigentlich gar nicht viele.

Dank überall: Die Juryvorsitzende dankt der Jury, die Autor_innen danken den Verlagen und ihren Helfern, der Messedirektor dankt der Jury und beglückwünscht die Gewinner. Das Publikum dankt fürs Ende der „Show“. Die danach Bewirteten danken für die Erfrischungen usw. ¬– Abschlussfoto, Klappe. Haben die Gewinner ihre Redezeit genützt, um das Motto der Messe zu befeuern und mit der geschliffenen Klinge des gesprochenen Wortes Kommentare bzw. Forderungen zu brancheninternen oder gesamtgesellschaftlichen Phänomenen abzugegeben? Fehlanzeige.

Sehr fein allerdings die Printpublikation, auch der Märzausgabe des „buchreport“ beigelegt: „Die Jury hat entschieden – Die Nominierten“. Hier kann man in Ruhe alles über die vor den Vorhang geholten Bücher und Autor_innen/Übersetzer_innen inklusive Leseproben nachschlagen, die jeweilige Presseansprechpartner sind ebenfalls genannt.

Sonst soweit alles stabil auf der Messe und in der Stadt: Ab Samstag mangat es heftig in der Glashalle, attraktives Fotofutter für die diversen Kanäle. Und die Anreise zur Messe immer wieder eine Challenge, wenn 3.000 Leute in die 16er Straßenbahn drängen und keine Nachfolgerin in Sicht. Aber viel schwieriger war die Heimfahrt. Da wurden die Züge bzw. der Leipziger Hauptbahnhof zum unfreiwilligen Zuhause.

Donnerstags hatte man den Eindruck deutlich niedrigerer Besucherfrequenz als üblich und sah insgesamt eine lockerere Hallenbespielung mit teilweise weiter von den Wänden abgerückten schwarzen Trennvorhängen, die Ausstellerzahlen deuten allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Die Themen-, Lese- und Infoinseln meanderten auf dem gesamten Areal, und die Attraktivität fürs Nicht-Branchenpublikum scheint ungebrochen. Beim Publishing- und Dienstleistungsbereich ist man über die übliche Teilmenge der Frankfurtfachbesucher vor Ort ja nicht mehr erstaunt. Den Rest wuppen wir dann wieder am Main.

So hatte sich die Branche zwischen Links-Rechts-Orientierungslauf und Toleranzdurchhalteparolen angenehm wenig selbstbespiegelt und die eigene Rolle einfach einmal bis zum nächsten Messeclash unverändert fortgeschrieben: als Bücher erschaffender Zauberlehrling mit industrieller Buchproduktion und Programmplatzbewirtschaftung im Hamsterrad. Die Messe bot vielfältige Impulse zum Mitradeln oder zum Verlassen des Käfigs.

http://www.leipziger-buchmesse.de/

Broschüre „Die Jury hat entschieden – Die Nominierten“ (PDF; 3,9 MB):
http://www.preis-der-leipziger-buchmesse.de/de/Preistraeger

Dieser Artikel weiters erschienen auf: kulturwoche.at
Dieser Artikel weiters erschienen auf: literaturcafe.de

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